Schule und Corona – Rückblick 2020

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Rückblick auf das Jahr 2020

Corona und die Schule im Aargau

 

Am Freitagnachmittag, 13.3.2020 teilt der Bundesrat mit, dass die Schulen ab sofort geschlossen werden. 

 

Info BKS Aargau vom 13.3.2020

Am Wochenende rufen wir die Eltern unserer Schülerinnen und Schüler alle an, fragen nach, ob sie Betreuungsunterstützung brauchen, ob ihrer Kinder die Möglichkeit haben, Internet und einen Computer zuhause zu nützen.

 

Unser LehrerInnen-Team trifft sich am Montag, 16.3.2020 in der Schule. Wir besprechen, wie wir vorgehen werden, planen Fernunterricht. 

 

SchülerInnen, welche keinen Computer zuhause haben, holen in der Schule einen Laptop.

Wir werden mit Microsoft-Teams arbeiten, schauen uns das gemeinsam eine Stunde lang an. Viel zu kurz, wie ich am nächsten Tag feststellen werde…

 

Vom Dienstag, 17.3.2020 werden wir alle zuhause bleiben.

Am Dienstagmorgen um 9 Uhr starten wir mit dem Fernunterricht. Bis sich sämtliche Schülerinnen und Schüler unserer Realklasse auf ihren Computern zuhause bei Teams einloggen können, vergehen mehrere Stunden, in welchen mein Kollege und ich versuchen, per Telefon oder Whatsapp support zu leisten. Es ist ein Riesenchaos. Selber kennen wir uns auch noch nicht wirklich aus. Ich staune über die Ausdauer und Geduld, welche all unsere SchülerInnen haben. Einige verfügen über technisches Knowhow, von welchem wir nichts gewusst haben. Wir alle helfen einander gegenseitig irgendwie via Chats und Telefon, bleiben geduldig, unterstützen uns.

Dass die Lehrpersonen und SchülerInnen alle im gleichen Boot sitzen und alle gerade einfach nur etwas am rudern sind und niemand genau weiss, wie es weitergehen wird, macht es irgendwie leichter.

Von nun an treffen wir uns immer von Montag bis Freitag um 9 Uhr morgens via Videocall. Dort sprechen wir alle miteinander, erzählen, wie es geht. Einzelne Jugendliche tauchen nicht auf, verschlafen. Diese werden von uns oder ihren Kolleginnen und Kollegen angerufen und aufgefordert, am gemeinsamen Tagesstart mitzumachen. Bei Jugendlichen, welche nicht erreichbar sind, nehmen wir mit den Eltern Kontakt auf.

Die SchülerInnen erhalten Aufträge via Teams, welche sie innerhalb einer Woche jeweils erledigen sollen. Diese Aufträge und Fragen dazu besprechen wir entweder an unseren Tagesstartscalls oder während weiteren Videocalls in Kleigruppen oder mit einzelnen SchülerInnen. Wir sind ständig mit sämtlichen SchülerInnen irgendwie in Kontakt.

Täglich sind wir immer wieder mit technischen Problemen beschäftigt. Die SchülerInnen arbeiten an verschiedensten Computern oder Ipads. Bei den einen funktioniert etwas, was bei den anderen anders gelöst werden muss. Diese technischen Probleme fordern mich persönlich extrem heraus. Ich verbringe Stunden, halbe Nächte damit, irgendwelche solcher Probleme zu lösen. Wenn wir vor Ort sein könnten, könnten wir diese Fragen und Probleme wahrscheinlich innert Minuten lösen. Manchmal verzweifle ich fast daran. Irgendwie geht es schlussendlich immer weiter. 

Mehrmals wöchentlich trifft sich unser Lehrerteam per Call und bespricht, wie wir weiter vorgehen, was wir wie lösen, was wir verändern müssen, was wir neu oder anders anpacken wollen.

Immer am Sonntagabend werden alle neuen Aufträge auf Teams aufgeschaltet. Das ganze Lehrerteam arbeitet zusammen. Die gleichen Aufträge werden für alle Klassen erstellt und bei Bedarf den verschiedenen Stufen (Sek / Real) angepasst.

Während den drei Wochen vor den Frühlingsferien sammeln wir zusammen mit unseren SchülerInnen die ersten Erfahrungen mit Fernunterricht. Es ist alles neu, anstrengend, spannend, ermüdend. Es läuft.

 

Info am 30.3.2020

Während den Frühlingsferien bereiten wir uns via Videocalls auf die nächsten Wochen Fernunterricht vor. Es ist klar, dass dieser für mindestens weitere 3 Wochen weitergehen wird. Wir fragen bei den SchülerInnen, bei den Eltern und auch bei uns Lehrpersonen nach, was wir wie gut gelöst haben, was wir beibehalten, was wir verändern sollen. Wir verbessern unsere Aufträge, werden ab sofort den Eltern wöchentlich persönliche Rückmeldungen und Ausblick auf die kommende Woche geben, überlegen uns, wie wir alle SchülerInnen optimal fördern können.

Technisch bin ich immer noch immer wieder am kämpfen. Das ist meine persönlich grösste Herausforderung. Wir arbeiten mit den SchülerInnen weiterhin mit Teams. Im Lehrerteam auch noch mit Miro, Slack, Trello. Ich lerne gerade unfreiwillig sehr vieles. Auch den Umgang mit meiner Frustrationstoleranz.

 

Der Fernunterricht nach den Frühlingsferien startet gut. Wir haben es unterdessen alle langsam etwas besser im Griff. Täglich gibt es neue Herausforderungen. Die meisten machen gut mit.

Aber einige SchülerInnen vermissen die Schule vor Ort. Einige haben Probleme in den Familien. Einige sind meistens alleine und unbeaufsichtigt. Sie haben die ganzen Ferien fast pausenlos gegamet oder Netflix geschaut. Sie vermissen ihre Freunde. Auch wir Lehrpersonen vermissen die Jugendlichen. Vieles wäre so viel einfacher im Schulzimmer.

Andere SchülerInnen blühen so richtig auf. Sie arbeiten viel intensiver als im Präsenzunterricht. Da tauchen Fähigkeiten auf, von welchen wir nichts wussten. Ihnen ist es wohl zu Hause.

Wir versuchen, die SchülerInnen und Schüler weiterhin individuell zu unterstützen.

Ein Schüler findet unsere Aufträge doof und langweilig. Er wird im Sommer die Schulzeit beenden und hat bereits seinen Lehrvertrag unterschrieben. Er hat die Idee, sich intensiv in ein eigenes Projekt zu vertiefen. Wir besprechen zusammen, dass er einige der Aufträge nicht erledigen muss und sich dafür seinem Projekt widmen kann. Er schreibt ein über 40-seitiges Outdoor-Survival-Buch, mit Ideen, welche er alle während des Fernunterrichts in der Natur ausprobiert.

Die meisten SchülerInnen haben sich unterdessen mit der Situation arrangiert. Sie haben neue Hobbies gefunden, treffen sich teilweise täglich virtuell zum zusammen Spiele machen, hören gemeinsam Musik. 2 Schüler treffen sich täglich am Abend online und plaudern und zeichnen gemeinsam. Eine Schülerin legt mit ihrem Grossonkel einen Garten an. Andere gehen regelmässig zusammen biken oder joggen. Viele kochen regelmässig für ihre Familien, gehen für Nachbarn einkaufen, telefonieren vermehrt mit ihren Grosseltern.

Weiterhin haben wir mehrmals wöchentlich Lehrerteamcalls. Wir gehen davon aus, dass es ab 11. Mai nicht „wie vor Corona“ weitergehen wird, überlegen uns, wie wir uns mit Halbklassenunterricht organisieren könnten. Wie wir die Klassen aufteilen könnten, um möglichst wenige Ansteckungen zu riskieren. Wie wir weiterhin einige der SchülerInnen per Fernunterricht und andere per Präsenzunterricht optimal betreuen könnten.

Ziemlich erstaunt erfahren wir dann, dass es ab 11.5. im Aargau keine weiteren Massnahmen mehr geben wird. Es gilt Präsenzunterricht. Ohne wenn und aber. Mit sämtlichen SchülerInnen im Schulzimmer. Wir brauchen Noten!

In anderen Kantonen wird das anders gehandhabt. Föderalismus halt.

Um die SchülerInnen trotzdem so gut wie möglich zu schützen, versuchen wir diese in fixen Gruppen zu unterrichten und diese Gruppen sollen möglichst oft in den gleichen Räumen bleiben. Das ist normalerweise nicht so. Je nach Fach wechseln die Gruppenzusammensetzungen und Räume. Organisatorisch ist das ziemlich kompliziert. Wir Lehrkräfte müssen unsere Arbeitszeiten anpassen. Die SchülerInnen arbeiten weiterhin meist mit Aufträgen via Teams. So könnten sie auch im Falle einer Quarantäne zuhause ohne grössere Probleme weiter arbeiten.

Das Aargauer Corona-Konzept für Schulen schreibt folgendes vor: Die SchülerInnen sollen regelmässig die Hände waschen und 1.5 m Abstand zu erwachsenen Personen haben. 

 

Ende Oktober steigen die Fallzahlen. Nun müssen alle OberstufenschülerInnen Masken tragen. Während des ganzen Unterrichts. Auch in den Pausen, draussen auf dem Pausenplatz. Auch sollen sie, wenn immer möglich, einen Abstand von 1.5 m untereinander haben. Für PrimarschülerInnen, welche sich auf dem gleichen Pausenplatz, im gleichen Schulhaus befinden, gilt noch immer: Hände waschen reicht. Masken und Abstand untereinander braucht es nicht. Teilweise sind die SchülerInnen gleich alt, die einen haben verschärfte Vorschriften, die anderen keine.

 

Einige SchülerInnen haben keine Probleme mit Masken und Abstand. Andere schon.

Sie müssen immer wieder daran erinnert werden, diese korrekt zu tragen.

Die Fenster sind fast pausenlos geöffnet, da sonst das CO2-Messgerät zu hohe Werte anzeigt, was heissen würde, dass auch die Aerosolwerte zu hoch sind. Es ist kalt in den Schulzimmern. Es hat Durchzug.

Die Tatsache, dass Lehrpersonen und SchülerInnen auch jetzt noch, wie schon seit März, im gleichen Boot sitzen,tut auch jetzt allen gut. Die SchülerInnen geben sich Mühe. Sie geben ihr bestes. Einige suchen Lehrstellen. Es ist schwierig.

Vermehrt fehlen immer wieder SchülerInnnen. Die einen haben Erkältungssymptome, andere müssen in Quarantäne, weil Familienangehörige positiv getestet wurden. Ein paar SchülerInnen sind immer wieder wegen psychischen Problemen nicht im Unterricht.

Es gibt Lektionen, an welchen ich 2 SchülerInnen im Schulzimmer habe und Lektionen in welchen ich 2 Schulklassen betreuen muss, weil immer wieder Lehrpersonen ausfallen. 

Vor den Weihnachten mache ich eine Umfrage unter den SchülerInnen. Mehr als die Hälfte der SchülerInnen möchte wieder in den Fernunterricht. Sie finden den Unterricht unter den momentanen Bedingungen eine Belastung. Sie haben Angst um ihre Gesundheit oder um die ihrer Familienangehörigen.

Einige SchülerInnen möchten auf keinen Fall wieder Fernunterricht. Für sie war die Zeit im Frühling zuhause keine gute.

 

Wir haben aus den 6 Wochen Fernunterricht im Frühling vieles gelernt. Einige SchülerInnen hätten wir vor Ort betreuen müssen. Einige Aufträge waren nicht gut. Einigen SchülerInnen hätten wir mehr zutrauen sollen, anderen weniger. 

 

Unterdessen gibt es viele Erfahrungen und Ideen von anderen Schulen, welche uns bei unserer Weiterentwicklung unterstützen könnten.

 

Ich wäre sofort bereit, mich wieder mit dem Thema auseinanderzusetzen. Man könnte Hybridunterricht anbieten. Für die einzelnen SchülerInnen individuell optimale Lösungen suchen.

 

Es wäre seit dem Frühling wichtig, die Schule weiterzuentwickeln, besser zu machen. Aber wir werden pausenlos ausgebremst. Wir sollen um jeden Preis so bleiben, wie wir vor Corona waren. Wir sollen erstens Kinder betreuen und zweitens Noten verteilen. Das ist es, was die Menschen, welche über die Schule im Aargau bestimmen, wollen. Gesundheit der Menschen an den Schulen und ihrer Familien ist zweitrangig, Weiterentwicklung in der Bildung scheint unerwünscht.

 

Wären da nicht all die tollen Jugendlichen, welche ich unterrichte und das coole Lehrerteam, mit welchem ich zusammenarbeiten kann, könnte ich mir meine Zukunft an der Schule im Aargau nicht mehr länger vorstellen.

marianne kuhn, 2.1.2021